Der Wurzeltext stammt von Gyalse Ngulchu Thogme (auch Thogme Zangpo genannt) aus dem 13./14. Jahrhundert, einem der hervorragendsten Bodhisattvas Tibets und stellt sozusagen ein Destillat und damit die Essenz von Shantidevas Bodhisattvacharyavatara, DEM zentralen Text des Mahayana, dar. Der sehr ausführliche Kommentar dazu wurde von einem - auch unter dem Namen Minyag Kunzang Sönam bekannten - Gelugpa-Schüler des berühmten Nyingma-Lehrers Patrul Rinpoche im 19. Jahrhundert verfasst.
Die Erklärungen sind in drei Abschnitte gegliedert: Der erste bezieht sich auf die Einleitung und die Verse 1 bis 7 des Grundtextes und befasst sich mit Sichtweise und Verhalten beim Eintritt in den Dharma, mit Aspekten der Abkehr von Samsara, der Rolle des Lehrers und der Zuflucht. Der Hauptteil, bezogen auf die Verse 8 bis 37 zeigt die Pfade der drei Arten von Lebewesen (mit gering, mäßig und gut entwickeltem spirituellem Potential) auf und enthält Belehrungen zum Entwickeln von Relativem und Absolutem Bodhichitta mit Anweisungen zu den Übungen von Geben und Nehmen (Tonglen), dazu, wie man Leiden und andere Probleme zu einem Teil des Übungsweges macht, zum Aufgeben der Anhaftung an die eigenen emotionalen Rektionsmuster auf samsarische Phänomene, zu den Sechs Paramitas, Achtsamkeit und Gewahrsein und verwandten Themen. Der dritte Teil schließlich bezieht sich auf die abschließenden Verse mit der Begründung zum Verfassen des Wurzeltextes sowie dem Aufzeigen seiner Authentizität und die Widmung des entstandenen Verdienstes.
Immer wieder und reichlich in den Kommentar eingestreut finden sich Zitate aus Sutras, dem Bodhicharyavatara selbst, den Werke Nagarjunas und großer Lehrer der Kadampa-Tradition (die ja über Gampopa auch in die Kagyü-Traditionslinien Eingang fand). Oft sind diese Einschübe für sich selbst genommen schon echte Perlen von Kern/Wurzelanweisungen, die sich für Praktizierende geradezu dazu anbieten als „Verse für den Tag“ kontempliert zu werden.
Insgesamt ein unbedingt empfehlenswertes Buch, vor allem für all jene, die sich mit den Lehren des Geistestrainings (Lojong) näher befassen wollen.
Dr. Georg Schober