Karmapas Botschaft zum Kagyu Monlam 2022

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Thaye Dorje, Seine Heiligkeit der 17. Gyalwa Karmapa, teilt die folgende Botschaft zum Kagyü Mönlam 2022 mit.

Liebe Dharma-Freunde,

Das diesjährige Kagyü Mönlam wird das zwanzigste sein, seit der ersten Mönlam-Versammlung in unserer Zeit, die 1994 in Lumbini, dem Geburtsort unseres historischen Buddha Shakyamuni, auf Betreiben Seiner Heiligkeit des verstorbenen 14. Künzig Shamar Rinpoche stattfand.

Von 1996 bis 2019 hatten wir das Glück, einmal im Jahr zusammenzukommen und unsere Wege des Strebens am heiligsten Ort von Bodhgaya auszuführen, wo alle Buddhas unseres begünstigten Zeitalters den Zustand vollkommenen Erwachens erreichen werden.

Dann, Anfang 2020, brach die COVID-Pandemie aus und große internationale Versammlungen wurden unmöglich. Dies hielt uns jedoch nicht davon ab, unsere jährlichen Kagyü Mönlam-Treffen fortzusetzen – wir passten lediglich die Art und Weise, wie sie abgehalten wurden, den Erfordernissen der Situation an:
Anstatt, dass sich die ehrwürdigen monastischen Sanghas und Laienpraktizierenden physisch in Bodhgaya versammelten, wurden die Mönlam-Gebete vor Ort, in der sicheren Umgebung unserer Klöster in Indien und Nepal, durchgeführt und die Praxis wurde live aus dem Kloster Rumtek gestreamt, um es Praktizierenden in aller Welt zu ermöglichen, daran teilzunehmen.

Obwohl sich die Situation um die Pandemie in diesem Jahr deutlich verbessert hat, halte ich es dennoch immer noch für ratsam, vorsichtig zu bleiben. Deshalb habe ich unsere Sanghas gebeten, die Mönlam-Gebete wiederum in ihren jeweiligen Klöstern abzuhalten; so wie in den vergangenen zwei Jahren. Ein Live-Stream aus Rumtek wird wieder für alle Praktizierenden auf der ganzen Welt zur Verfügung gestellt, damit sie – egal wo sie sind – an den Wegen des Strebens teilnehmen können.

Ich empfinde es als äußerst wertvoll, dass wir dieses Muster, einander einmal im Jahr zu treffen und gemeinsam Wegen des Strebens zu praktizieren, nun schon seit vielen Jahren ohne Unterbrechung beibehalten konnten, und ich bin zuversichtlich, dass wir nächstes Jahr endlich wieder unter dem Bodhi-Baum in Bodhgaya zusammenkommen können.

Liebe Dharma-Freunde, ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um einige persönliche Gedanken über die Praxis der Wege des Strebens mit Euch allen zu teilen:

Zu einer Zeit wie dem Kagyü Mönlam, bei dem sich alles um Wünsche und Bestrebungen dreht, scheint diese besondere Spiritualität, die sich „Buddhismus“ nennt, großen Nachdruck auf Wege des Strebens zu legen, sodass wir das Gefühl bekommen könnten, es sei sehr wichtig, Wünsche zu machen; dass wir Wünsche machen müssen.

Und zugleich damit fangen wir dann vielleicht an, uns über Dinge zu wundern wie: „Werden sie wahr werden? Wann werden sie sich erfüllen?“ Wir mögen Gedanken haben wie: „Ich habe schon Wünsche gemacht, lange bevor ich an einem Kagyü Mönlam teilgenommen habe, lange bevor ich überhaupt von Wegen des Strebens gehört habe. Ich habe mein ganzes Leben lang Wege des Strebens geübt, seit ich mich erinnern kann, und keiner von ihnen scheint in Erfüllung gegangen zu sein.“

Ist es also wirklich wichtig, Wege des Strebens zu machen oder sollten wir die Dinge einfach auf sich beruhen lassen?

Ich würde vorschlagen, dass wir Wege des Strebens aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten und sie als einen Luxus ansehen, der mit der Geburt als Mensch einhergeht.

Was ist ein Weg des Strebens, was ist ein Wunsch? Ich denke, niemand kann das so wirklich genau ausmachen.

Aber was wir sehen können ist, dass es in der so genannten natürlichen Welt keinen Platz für Wegen des Strebens zu geben scheint – nicht in dem Sinne, dass die natürliche Welt „karg“ an der Schönheit von Wünschen wäre; aber könnt Ihr Bäume, Felsen und Berge sehen, die sich etwas wünschen? Nicht wirklich, nehme ich an.

Genauso sollten wir, wenn wir mit der Vorstellung von Wesen in „höheren Bereichen“, wie den Götterbereichen, zufrieden sind, verstehen, dass diese keine wirkliche Möglichkeit haben, Wünsche zu machen.

Ähnlich verhält es sich, wenn wir in den niederen Bereichen geboren werden, wie z.B. im Tierreich (vielleicht ist es für uns einfacher, eine Beziehung zu ihnen herzustellen, weil wir in der Lage sind, sie zu sehen): Wir sehen Tiere nicht beten, wie wir es tun. Daher können wir meiner Meinung nach mit Sicherheit sagen, dass auch sie diesen Luxus nicht haben. Sie sind immer aufs Überleben ausgerichtet; sie leben nach Instinkt, nicht nach Wegen des Strebens.

Wir als menschliche Wesen jedoch haben das Privileg, etwas zu wünschen; wir haben diesen Luxus. Wieso? Weil wir Konzepte nutzen können.

Ich habe also das Gefühl, dass der Buddhismus Wege des Strebens betont, nicht, weil wir streben müssen. Vielmehr streben menschliche Wesen von Natur aus nach etwas, ab dem Moment, in dem sie geboren werden. Es liegt in ihrer Natur, es ist Teil ihrer Gewohnheit. Warum? Weil die Menschen die Meister der Konzepte sind. Bestrebungen sind Teil von Konzepten, deshalb werden Menschen Wünsche äußern und der Buddhismus schließt sich dem an und sagt: „Warum nicht?“

Auf diese Weise zeigt der Mönlam-Aspekt des Buddhismus, dass der Buddhismus nichts verleugnet; er geht mit allem mit.

Was der Buddhismus also sagt, ist, dass wir – da wir diesmal eine kurze Zeitspanne als menschliche Wesen haben – nicht darauf verzichten müssen, Wünsche zu machen. Der Buddhismus sagt uns: „Folgt auf jeden Fall Eurer Natur, strebt und wünscht nach Herzenslust – aber macht Wünsche und Wege des Strebens, die Euch nicht verwirren, die keine unangenehmen Emotionen hervorrufen. Macht stattdessen Wünsche und Wege des Strebens, die schön sind, wohltuend für Euch und Eure Gesellschaft.“

Dazu also ermutigt uns der Buddhismus und das ist der Grund, warum Buddhas und Bodhisattvas Äonen damit verbringen, sich die schönsten und inspirierendsten Wünsche auszudenken.

Und aus diesem Grund sind diese Wünsche als vollkommene Rede bekannt; weil keiner dieser Wege des Strebens sagt: „Lüge. Betrüge. Töte. Stiehl.“

Stattdessen geht es immer darum, Dinge zu sagen wie: „Wünsche Glück. Setze gütige Handlungen. Tue Gutes. Übe Großzügigkeit.“

Mit anderen Worten: Der Buddhismus folgt einfach unserer natürlichen Neigung als menschliche Wesen, Wünsche und Wege des Strebens zu machen.

Und noch einmal: Was ist ein Weg des Strebens? Im Grunde ist er ein Konzept. Es ist eine Art zu leben, eine Art, sich auszudrücken. Es ist eine Art, sein Leben in vollen Zügen auszuleben.

Lasst uns daher, liebe Dharma-Freunde, diese Tage des Kagyü Mönlam nutzen, um unsere menschliche Natur voll zum Ausdruck zu bringen, indem wir uns den vollkommenen Wegen des Strebens der Buddhas und Bodhisattvas anschließen; ohne irgendein Gefühl, eine Mission erfüllen zu müssen, ohne jeglichen Zweifel oder irgendein Zögern, sondern mit Freude aus ganzem Herzen.

Nicht zuletzt freue ich mich darauf, Euch alle im nächsten Jahr endlich wieder persönlich zu treffen; sei es in Europa oder in Indien. In der Zwischenzeit praktiziert gut und passt gut auf Euch auf.

Mit Gebeten

Seine Heiligkeit der 17. Gyalwa Karmapa Thaye Dorje

www.karmapa.org
 

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