Karmapas Meditation zu Wächtern und Schützern - 20.06.2020

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20. Juni 2020

In seiner jüngsten Meditation teilt Thaye Dorje, Seine Heiligkeit der 17. Gyalwa Karmapa, eine Belehrung zum Thema Wächter.
 



Wieder einmal nutze ich diese Gelegenheit, um ein wenig von meinem Wissen über den Buddhismus weiterzugeben.

Das Thema heute könnte heißen: Bewachen oder Hüter-Sein.

Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber mir scheint, dass der Buddhismus so ist, dass man praktisch jedes Thema von so ziemlich überall her aufgreifen kann. Somit ist er nützlich, um ein Gespräch zu beginnen – das ist aber natürlich nicht sein einziger Nutzen.

Einer der Gründe dafür ist, dass es im Buddhismus selbst eigentlich keine Themen gibt, die tabu sind oder als provokant angesehen werden, auch wenn aufgrund verschiedener kultureller Faktoren solche Tabus zu existieren scheinen.

Zum Beispiel wird in einigen buddhistischen Ländern über den Tod zu reden abergläubisch vermieden oder als Blasphemie betrachtet.

Manchmal hat der Buddhismus umso mehr beizutragen, je provokanter das Thema ist; d.h. selbst wenn das Gesprächsthema tabu sein mag, hat der Buddhismus oft diese Qualität, dass er das Gespräch nicht unangenehm werden lässt.

Wenn Ihr einen enthusiastischen und leidenschaftlichen Buddhisten am Gespräch teilnehmen lasst, kann der Buddhismus der zuvor verbotenen Diskussion tatsächlich Sinn und Leben verleihen.
Ein gewisser Humor wird das Gespräch abrunden und es ohne Peinlichkeit beenden.

Nun, genau wie der Begriff von Zeit, ist auch die Idee eines „Wächters", das Bild eines Schützers – ob man sich diesen Gedanken nun als Person vorstellt oder nicht – ein Konzept, das tief in uns verwurzelt ist, seit wir zum ersten Mal denken konnten.

Ohne auf eine endlose Debatte darüber einzugehen, wer oder was ein Wächter ist und die damit verbundenen Fragen nach dem Warum, Wann oder Wie, wäre es vielleicht einfacher, direkt die buddhistische Perspektive dieses Hüters zu erforschen.

Die Wächter der vier oder zehn Richtungen sind sowohl metaphysische als auch praktische Perspektiven des Buddhismus.

Der praktische Blickwinkel mag überraschend sein, da der Buddhismus aufgrund seiner starken Betonung von Leerheit oft als nihilistisch angesehen wird, sodass der Begriff eines „Hüters" wie ein widersprüchlich einzuführendes Thema erscheint.

Warum sprechen wir über das Bewachen von etwas, wenn alles leer ist?

Eigentlich stimmt der Buddhismus – um diejenigen zufrieden zu stellen, die die Gewohnheit haben, zu denken, dass alles hier und alles real ist – mit ihnen überein, indem er die Idee akzeptiert, dass es „Bewachende Entitäten" gibt.

Metaphysisch, weil Buddhisten parallel zur praktischen Perspektive zur Genüge wissen, dass das Akzeptieren von und ein Einverständnis mit der Idee, bewachende Entitäten zu haben, eine Möglichkeit schafft, um Leerheit für diejenigen einzuführen, die in ihren Gewohnheiten in Bezug auf die Realität stärker fixiert sind – Jene, die fest daran glauben, dass alles real ist und dass es etwas zu behüten gibt.

Und die Art und Weise, wie sie eingeführt wird, besteht darin, Fragen zu stellen, wie:

Wer bewacht die Wächter?

Und wenn es Wächter für die Wächter gibt, wer bewacht sie?

Was ist es, was die Wächter bewachen?

Diese Fragen sollen den Trugschluss aufdecken, stur im Glauben zu sein, es gäbe etwas zu retten.

Mit anderen Worten besteht die Kunst der metaphysischen Methode darin, einen kleinen Blick auf das Wunder von Leerheit zu werfen, anstatt Leerheit als beängstigend anzusehen.

Zum Beispiel: Ein Arzt ist eine Art Hüter.

Der offensichtliche Zweck oder die Funktion eines Arztes besteht darin, seine Patienten am Leben zu erhalten.

Glaubt man aber hartnäckig daran, es sei real, unbefristet am Leben zu bleiben und niemals zu sterben – mit anderen Worten, dass Unsterblichkeit real ist –, dann ist der Arzt auf der Stelle obsolet geworden.

Weil das einfach nicht möglich ist.

Insofern könnte man sich dann fragen, warum man versuchen sollte zu heilen; warum man zu schützen versuchen sollte? Denn es sieht so aus, als ob das nicht machbar wäre.

Nun, merkwürdigerweise ist das buddhistische Verständnis, dass man tatsächlich versuchen kann, zu behüten – wenn man akzeptiert, dass es nicht möglich ist; was bedeutet, dass es nur dazu dient, den Patienten zu trösten und ihn davon abzuhalten, sich allzu sehr zu sorgen.

Das ist wie eine liebevolle, hungernde Mutter, die versucht, ihr ebenfalls hungerndes Kind zu beruhigen, indem sie ihm versichert, dass morgen Essen in Hülle und Fülle kommen wird, und beschreibt, wie sie es genießen werden, obwohl sie weiß, dass es keine Gewissheit gibt.

Irgendwie ist sie durch diese Notlüge in der Lage, das Kind zu trösten und es zum Schlafen zu bringen.

Das sollte nicht wörtlich genommen werden, denn es ist nur eine Analogie...

Mit anderen Worten: Wächter, Heilmittel, Schutzmaßnahmen, Sicherheitsnetze sind alle nur vorübergehende Maßnahmen - THABS auf Tibetisch, UPAYA auf Sanskrit und für gewöhnlich ins Deutsche übersetzt als „Geschickte Mittel".

Geschickte Mittel sind nicht unbedingt eine Methode, um irgendwohin zu kommen, so als gäbe es ein Ziel zu erreichen. Sie sind vielmehr ein Weg, um die gegenwärtige Erfahrung sorgenfrei zu machen.

Nehmen wir den Begriff „Geschickte Mittel" zu wörtlich und verstehen ihn als ein Instrument, um tatsächlich etwas zu erreichen, baut sich Druck auf, als ob wir uns mit dieser Notlüge für immer abfinden müssten.

Wenn wir es dagegen weniger wörtlich nehmen, dann kommen wir an einen Idealpunkt und verstehen, dass das nur eine Möglichkeit ist, den gegenwärtigen Augenblick von Sorge oder Angst zu befreien.

Auf diese Weise erscheinen Buddhas und Bodhisattvas in Myriaden von Formen, um fühlende Wesen zu schützen.

Zunächst leugnen sie die Überzeugungen der fühlenden Wesen nicht, obwohl diese Ansichten keine Essenz haben.

Gleichzeitig erzeugt genau dieses Handeln der Buddhas und Bodhisattvas genügend Zweifel bei denen, die hartnäckig an Vorstellungen festgehalten haben, indem es ihnen Fragen so stellt, als ob sie die

Antworten nicht wüssten, und indem sie fühlende Wesen selbst zu den Antworten gelangen lassen.

Wenn fühlende Wesen schlussendlich die Antworten finden, brauchen sie nicht länger behütet zu werden.

Und die Buddhas verschwinden einfach.

Was bedeutet, dass die Buddhas keinen Anspruch auf ihr Verdienst erheben.

www.karmapa.org
 

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