Karmapas Gedanken zum Leben mit der Pandemie - 27.09.2020

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27.09.2020

Thaye Dorje, Seine Heiligkeit der 17. Gyalwa Karmapa, persönliche Gedanken zum Leben mit der Pandemie.

 



Liebe Dharma-Freunde,

Diese Überlegungen sind, genau wie alle früheren Beiträge, die ich in den letzten Monaten mit Euch geteilt habe, nur meine eigenen Gedanken und keine Dharma-Unterweisungen, die in irgendeiner Weise in den Kanon aufgenommen werden sollten. Es ist mein Wunsch, nichts zu verwässern, was die verwirklichten Edlen bereits in Form des Buddha-Dharma mit uns geteilt haben.

Ich hoffe also, dass Ihr alle das verstehen werdet.

Wie viele von Euch hatte ich aufgrund der Pandemie viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe einige meiner Ideen dazu aufgeschrieben und die verschiedenen digitalen Plattformen genutzt, um sie mit Euch zu teilen – einfach als eine Möglichkeit, laut nachzudenken und in der Hoffnung, dass es Euch in irgendeiner Weise trösten könnte.

Jemand hat mir einmal gesagt: „Ich habe mir Vieles angehört, was gesprochen wurde, und eigentlich kein Wort davon verstanden. Aber aus welchem Grund auch immer, hat mich schon das bloße Zuhören enorm aufgemuntert.“  Ich kann mich jetzt nicht einmal mehr daran erinnern, wer diese Person war oder über wen sie sprach, aber in diesem Sinne hoffe ich, dass meine Gedanken Euch in irgendeiner Weise aufgemuntert haben.

Ich werde versuchen, so lange weiterzuschreiben, wie mir Gedanken kommen. Eure Fragen sind definitiv eine große Quelle der Inspiration. Sie regen meine kindlichen Überlegungen in einer Weise an, die ich weiter erforschen und verbalisieren möchte.

Ich möchte diese Gelegenheit auch dazu nutzen, um die ursprüngliche Überschrift dieser Sammlung meiner Gedanken zu ändern, die bisher `Meditationen für unsere Zeit´ lautete; ein Titel, der spontan zu Beginn der Pandemie aufgetaucht ist. Aber jetzt, da ich etwas Zeit hatte, darüber nachzudenken, ist mir klar geworden, dass das, was ich schreibe und teile, im Grunde genommen nur meine eigenen Überlegungen sind. Daher möchte ich diese Sammlung von nun an `Meine Gedanken´ nennen.

Um auf das Thema dieses Beitrags – `Die Pandemie leben´ – zurückzukommen, scheint mir, dass diese aktuelle Viruspandemie nicht die einzige ist, die es gibt.

Vielmehr leben wir mit verschiedenen Arten von Pandemien, sowohl geistigen als auch physischen.

Wir können sie in gewisser Weise überleben. Wir können in gewisser Weise Heilmittel für sie finden. Aber ganz gleich, was wir tun: Solange es ein Leben zu geben scheint, werden Herausforderungen wie diese immer mit ihm einhergehen.

Wenn ich aus buddhistischer Sicht versuche, für ein Ende dieser speziellen virusbedingten Krankheit zu beten, bemühe ich mich, so zu denken:

„Mögen wir nicht nur einen Weg finden, sie zu beenden; mögen wir in der Lage sein, sie zu verstehen.“

Ich betrachte diese Pandemie als eine Chance, die sich von jeglicher anderen Katastrophe unterscheidet, da sie nicht vom Menschen verursacht ist, wie zum Beispiel ein Krieg, bei dem wir keine Zeit zum Nachdenken oder Überlegen haben, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, einfach nur zu überleben.

Im Gegensatz dazu ist die gegenwärtige Krise zwar in der Tat alarmierend und in vielen Fällen lebensbedrohlich, aber sie bietet den meisten von uns dennoch etwas Zeit zum Nachdenken und, wenn möglich, dazu, ein gewisses Verständnis zu erlangen.

Deshalb bete ich, wir mögen in dieser Situation einen Sinn finden.

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas über das Virus selbst sagen. Wissenschaftler und spirituelle Schulen haben ihre eigene Art, Lebewesen oder fühlende Wesen zu definieren. Aus buddhistischer Sicht gibt es eine Unterscheidung zwischen Lebewesen und fühlenden Wesen. Im Falle dieses Virus ist es ein schmaler Grat, ob es als fühlendes Wesen betrachtet werden sollte oder nicht.

Aber wie dem auch sei, das Virus zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit fühlenden Wesen, was sein Überleben und sein Florieren betrifft. Auch wenn ich mir in dieser Hinsicht nicht sicher bin, könnte das Virus also eine fühlende Natur haben – ein Bewusstsein wie das Unsere – und es könnte einfach versuchen, einen Weg zu finden, in diesem Universum zu leben – genauso wie wir auch. Vielleicht sollten wir also einfach einen Gedanken für diese Wesen erübrigen.

Ich will damit nicht andeuten, dass wir übermäßig fromm oder religiös werden und in das Extrem verfallen sollten, dem Virus klein beizugeben und alle Vorsicht und Sorgfalt über Bord zu werfen. Ich schlage nur vor, dass wir für diese Wesen, für diese Lebensform, über die wir noch nicht viel wissen, einen Gedanken erübrigen sollten, neben der stacheligen Darstellung, mit der wir alle so vertraut geworden sind.

Auch wenn dieses Virus primitiv und in vielerlei Hinsicht so völlig verschieden von uns zu sein scheint, könnten wir im Vergleich in ihm zumindest einen Teil von uns selbst erkennen.

Genau wie wir versucht es, einen Wirt zu finden; etwas, wo es leben und sich vermehren kann. Auch wir versuchen, Gastgeber zu finden, die uns aufnehmen, je nachdem, was wir für die richtige Art zu leben halten.

Dieses Virus mag also genau dasselbe tun.

Das ist vielleicht etwas, worüber man nachdenken sollte.

Aber aus welchen Gründen auch immer, steht die Lebensweise des Virus doch noch nicht im Einklang mit unserer und so wie diese kugelförmige Erde versucht, uns ab und zu loszuwerden, versuchen wir dasselbe mit dem Virus zu tun.

Meines Erachtens nach ist dieser Instinkt oder diese Reaktion des Loswerdens nicht rein böswillig. Dieses Verhalten könnte sicherlich als eine Botschaft verstanden werden, die beinhaltet, dass die Art und Weise, wie wir versuchen zu leben, oder wie das Virus zu leben versucht, nicht unbedingt im Einklang mit der Erde oder mit uns ist.

Irgendwann wird dieses hartnäckige Virus dann diese Botschaft erkennen und verstehen, und einen Weg finden, mit uns zu leben.

Vielleicht bin ich zu naiv, aber zumindest empfinde ich das so.

Ich will hier nicht wirklich meine Ansicht durchsetzen; es ist nur eine Überlegung. Und nach meiner Überlegung kann sich das, was wir für das Leben nach dieser Pandemie erwarten – nämlich zur Normalität der Lebensführung zurückzukehren, die wir vor der Pandemie kannten – erfüllen oder auch nicht.

Es ist möglich, dass wir durch das Finden eines Impfstoffes und durch einfaches Überdauern dieses Virus überleben und diese Herausforderung meistern können.

Aber wenn wir irgendwie aus der Vielfalt der Erfahrungen, die uns diese Pandemie gebracht hat, lernen können – von lebensbeendenden Erfahrungen bis hin zu alltäglichen Ärgernissen – dann werden wir die Pandemie gelebt haben, anstatt sie lediglich zu überleben.

Quelle: www.karmapa.org/my-thoughts
 

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